Die Rache der Hexen002

  • die Rache der Hexen Glosse
  • 2006 Mitten auf dem Domplatz hatten sie die Pfaffen aufgeschichtet. Ganz unten lagen in einer Viererreihe Kardinäle, darüber quer zur Richtung der vier Oberhirten, vier Bischöfe. Sie hatten das Schichtsystem den Köhlern abgeschaut, die ihre Holzstapel derart kunstvoll zu schichten pflegten. Durch die ständig wechselnde gegen- und querseitige Schichtung bekommt der Holzstoß eine große Stabilität. So auch der Pfaffenberg. Über den Bischöfen türmten sich streng hierarchisch Schwarzrock über Schwarzrock, bis ganz oben, dem Himmel nah, wie die von Schnee bedeckten Bergkuppen der Schweizer Alpen, die Ministranten lagen. Denen hatten sie die Kerzen aus den Händen genommen und sie überall zwischen die einzelnen Lagen verteilt. Vorausschauend hatten sie die Kerzen sehr wahrscheinlich als Brandbeschleuniger eingeplant. Dem unbedarften Zuschauer fiel auf, dass bei diesem nicht ganz kirchenfreundlichen Berg von Menschenleibern die Hierarchie auf den Kopf gestellt war. Die Kardinäle trugen die ganze Last auf ihren wohlgenährten Bäuchen, auf denen die Bischöfe eine nahezu geruhsame Liegestatt einnahmen. Ganz oben die Ministranten hatten es weit weniger gut. Allein die Höhe erzeugte Ängste, dazu die Finger und Hände der unter ihnen liegenden Schwarzröcke, die ohne Tadel die Hinterseiten der Ministranten hätten begrapschen können, erzeugte Furcht bei den jungen Menschen. Im krassen Gegensatz zu dem wie eine makabere schwarz-weiße Fotografie anmutenden Menschenturm, stachen die farbenfrohen Kleider und Gesänge der Coloniahexen hervor. Sie ritten und tanzten mit ihren Besen um den Turm auf der Domplatte. Die schönste der Hexen kam etwas verspätet, sie hatte den Termin vergessen wegen eines Termins, der auf den Termin eines Termins gefolgt war. Aber nun war sie da und die riesige Streichholzschachtel in ihren Händen sprach Bände. Sie war nicht bekleidet. Für die braven Kirchgänger und Gaffer war das nicht unangenehm. Im Gegenteil. Diese wunderschöne Coloniahexe brauchte kein Hexenkleid, um sich zu schmücken. Sie war wunderschön. Davon konnten sich die Bürger überzeugen. Aus ihrer strammen Brust heraus wuchs eine Rose. Sie war nicht beschämend rot, sondern hatte den warmen Ton der beiden frech in die kühle Luft ragenden Nippel angenommen. Es sah bezaubernd aus. Die anderen Hexen begannen inzwischen etwas wilder zu tanzen und sie stimmten in diesem Moment auch ein Lied an. Zum Refrain kreischte das Publikum im Ton einer ungeölten Türe und sang den Text lauthals mit: „Schwester zünd’ das Feuer an, denn brennen soll der ganze Clan...“ „Aufwachen! Aufwachen! He, aufwachen!“, drang wie aus Wattenebeln eine Stimme an mein Ohr, „Wach’ auf, du hast verschlafen...“ Ich weigerte mich meine Augen zu öffnen. Denn so absurd es auch klingen mag, in diesem Moment sah ich ein, dass ich nie wieder Hexen in Köln würde sehen können... © 2006 by Roman Romanow
  • Illustration der Hexetanz 2008