Eine kurze Zeit vor dem 17. September 1984…

So viele Menschen sind abergläubisch, glauben an Wunder und versuchen spirituell die Klippen im Meer des Daseins zu umschiffen. Ich dachte immer, wir wären die Kapitäne unseres Schiffchens im noch so tosenden Meer. Wir allein würden den Kurs unseres Daseins bestimmen und uns nicht verhalten, als wäre alles vorbestimmt oder irgendwo hätte einer gar die Fäden in den Händen…
So dachte ich einst.
Und dann traf mich ein Sonnenstrahl.
Nur einfach so, als hätte jemand ihn mir zugeworfen.
Lachend streckte ein bezauberndes Wesen die Zunge heraus, hatte ein Sektglas in den Händen und besagten Sonnenstrahl im Blick.
Von da an war plötzlich alles anders. Ganz anders.
Ich stand zwischen schwarzen und weißen Holzfiguren auf einem riesigen schwarz-weiß gewürfelten Brett, das zwischen vier noch riesigeren Händen der Grund unter meinen Füßen war. Ich sah an mir hinab und entdeckte, dass ich total schwarz war, nicht politisch und auch nicht hautfarbig, sondern ganzheitlich wie Ebenholz. Nicht weit von mir entfernt stand das zarte Wesen mit dem zauberhaft sonnenhaltigen Blick, doch nicht die Sonne war es, die mich jetzt blendete. Das weibliche Wesen war weiß wie Schnee von Kopf bis Fuß und sah so wundervoll aus, dass ich zur Salzsäule erstarrt auf der Holzplatte stand. Gänsehaut zog über meinen Rücken. Doch ich fror nicht. Im Gegenteil. Feuer brannte unter meinen Rippen…
Ich begann in atemloser Geschwindigkeit das Alphabet herunter zu beten, aber mir fielen keine Worte ein, die ich der weißen Frau hätte sagen können. Und genau in diesem Moment der absoluten Wortlosigkeit, bewegte sich eine der riesigen Hände und schob die weiße Schönheit zwei Felder weit in meine Richtung.
„Lass die Pfoten von der Dame!“ wollte ich schreien, doch der Satz blieb mir in der Kehle stecken, denn genau in diesem Moment schob die andere Riesenhand mich zwei Felder vor und eines nach rechts. Ich atmete tief durch. Fast greifbar nah vor mir stand der Traum aller Träume, die weiße, über alle Maßen wundervolle Traumfrau. Was nun? Fast unfassbare Gefühle übermannten mich. Soll ich sie in die Arme schließen? Darf ich das? Würden wir uns küssen wollen?
Mitten in diese Reizüberflutung schob ein kraftvoller Finger, riesengroß und unbarmherzig, die weiße Frau weiter auf mich zu. Unter meinem schwarzen Ebenholz schrillten Alarm-, Feuer- und Hochzeitsglocken gleichzeitig, Schüttelfrost ließ mich erbeben und wenn ich nicht so schwarz gewesen wäre, hätte die angebetete Schöne mich erröten sehen müssen. Ich versuchte mir den Schweiß von der Stirn zu wischen, doch dann benötigte ich meine Hände zur Balance, denn jetzt schob auch mich die andere große Hand wieder ein Stück auf die junge Dame zu.
Erbarmen, das hält mein Herz nicht aus! Inzwischen war das traumhafte Wesen schon so dicht vor mir, dass ich ihr Lächeln wie Küsse auf meiner Haut spürte. In meinem Bauch begann ein Heer von Schmetterlingen sich emsig mit den Gesetzen der Vermehrung zu befassen und in meinem Kopf fuhren tausend aufmüpfige Gedanken Kettenkarussell und Achterbahn zugleich.
Die weiße Dame sah mich gütig, sanft und weise an, als fühlte sie, wie das herrlichste Irresein mich erfasste…
Wie gesagt, ich bin nicht abergläubisch und glaube auch nicht an Wunder, doch kann es nicht auch sein, dass manchmal ein großer Schachspieler uns in die einzig richtige Richtung schiebt?

  • Autor Roman RomanoW
  • Art Erzählung
  • Jahr 2013